Hermann Glettler
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Schreiben von Familienbischof Hermann Glettler an politische Verantwortungsträger zum Thema Leihmutterschaft

Offener Brief an die

Bundesministerin für Justiz Alma Zadić,

Bundesministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien im Bundeskanzleramt Susanne Raab

österreichischen Abgeordneten zum EU-Parlament

Mit großer Sorge verfolge ich die laufenden Bestrebungen, Leihmutterschaft international zu etablieren und zu erleichtern. Konkret betrifft dies den Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung des Rates zur grenzüberschreitenden Anerkennung der Elternschaft zwischen den Mitgliedstaaten und der Schaffung eines europäischen Elternschaftszertifikats (COM(2022) 695) vom 7. Dezember 2022 sowie das Projekt Elternschaft / Leihmutterschaft der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht (HCCH), das sich mit der Erstellung eines multilateralen Instruments zum Internationalen Abstammungsrecht beschäftigt.

Beide Initiativen wollen u. a. die Anerkennung der Elternschaft aus ausländischen Leihmutterschaftsvereinbarungen erleichtern bzw. eine automatische Anerkennung, wie dies im EU-Verordnungsvorschlag angestrebt wird, normieren. Leihmutterschaftsverbote, die in Ländern wie Österreich zurecht bestehen, laufen dadurch Gefahr, de facto ausgehöhlt und unterwandert zu werden.

Missachtung des Kindeswohls

Leihmutterschaftsvereinbarungen stellen eine Form des Kinderhandels dar. Gegen Entgelt – und sei es auch nur eine Aufwandsentschädigung – wird das Austragen und die Übergabe eines Kindes vereinbart. Das damit geförderte Anspruchsdenken der Bestelleltern kann dazu führen, dass sie die Übernahme eines nicht ihren Erwartungen entsprechenden Kindes (Behinderung, falsches Geschlecht, …) verweigern oder die Leihmutter zu einer Abtreibung auffordern. Übergabeschwierigkeiten (bedingt durch eine Pandemie, einen Krieg etc.) können bewirken, dass Kinder ohne echte und dauerhafte Bezugspersonen auf ihre Abholung warten müssen. Aber auch abgesehen von den genannten Fällen widerspricht Leihmutterschaft allein aufgrund der Tatsache, dass sie einen Handel mit Kindern darstellt, der Würde und den in der UN-Kinderrechtskonvention geschützten Rechten von Kindern.

Kinder werden durch Leihmutterschaft vorsätzlich einer gespaltenen Elternschaft ausgesetzt, die zahlreiche negative Konsequenzen nach sich zieht. Sie müssen mit dem Wissen oder auch nur der Ahnung leben, dass sie neun Monate lang von einer Frau ausgetragen wurden, der sie in den meisten Fällen nie mehr in ihrem Leben begegnen werden. Aufgrund von häufigen Gametenspenden bei Leihmutterschaften hat das Kind neben den Bestelleltern und der biologischen Mutter (der Leihmutter) auch noch genetische, ihm meist unbekannte Eltern. Damit verletzt Leihmutterschaft das Recht des Kindes, nach Möglichkeit seine leiblichen Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden – beides ebenfalls in der UN-Kinderrechtskonvention verankerte Rechte.

In dem Zusammenhang dürfen die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema „frühkindliche Bindung“ nicht ignoriert werden. Die frühkindliche Bindung beginnt bereits im Mutterleib und ist wesentlich für eine gesunde Entwicklung des Kindes. Im Falle einer Leihmutterschaft wird aber eine nachhaltige tiefere Bindung und ein Beziehungsaufbau der Schwangeren mit dem ungeborenen Kind von vornherein vermieden. Erschwerend kommt hinzu, dass das Kind bewusst gleich nach der Geburt von seiner ersten Bezugsperson – der Leihmutter – getrennt und damit sehr früh der Sicherheit und Geborgenheit beraubt wird, die es zu seiner Reifung benötigt.

Rücksichtslose Ausbeutung von Frauen

Leihmutterschaft erfolgt mithilfe von reproduktionsmedizinischen Maßnahmen, die gesundheitliche Risiken sowohl für das Kind als auch für die Frau bergen (Belastung durch Hormonbehandlungen, Risikoschwangerschaften, Geburt, negative Auswirkungen auf spätere Schwangerschaften). Eine Frau nimmt solche gesundheitsgefährdenden medizinischen Behandlungen meist nur dann auf sich, wenn sie sich in einer finanziellen Notsituation befindet. Der wachsende Leihmutterschaftsmarkt verfestigt somit globale Ungerechtigkeiten und wirtschaftliche Notlagen von Frauen.

Außerdem greifen Leihmutterschaftsvereinbarungen tief in die Autonomie der Frau ein. Sie enthalten u. a. Bestimmungen darüber, welche medizinischen Untersuchungen die Schwangere durchführen muss, was sie essen oder trinken darf, wo sie sich aufzuhalten hat und wann sie das Kind abzugeben oder die Schwangerschaft abzubrechen hat. Damit wird die Leihmutter ihrer Würde beraubt und zu einem Instrument für einen fremden Kinderwunsch degradiert. Die Selbstbestimmung der Frau endet spätestens mit dem Unterzeichnen des Leihmutterschaftsvertrags. Auch dieser Aspekt ist mit den geltenden Menschenrechten unvereinbar.

Zuletzt können die genannten Aspekte wie die implizite Verhinderung eines Beziehungsaufbaus zum Kind, eine mögliche Aufforderung zur Abtreibung oder „Mehrlingsreduktion“ oder die Weigerung der Besteller ein Kind aufgrund gewisser ungewollter Kindeseigenschaften zu übernehmen, für die Leihmütter langfristige psychische Folgen nach sich ziehen.

Zahlreiche internationale Experten, Gremien und Organisationen haben die Praxis der Leihmutterschaft verurteilt. Erwähnt seien hier beispielhaft der Bericht der UN-Sonderberichterstatterin betreffend Kinderhandel und Kinderprostitution, der EU-Jahresbericht 2014 über Menschenrechte und Demokratie in der Welt und einige Resolutionen des EU-Parlaments, darunter zuletzt die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5. Mai 2022 zu den Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine auf Frauen. Wie ausgeführt, steht Leihmutterschaft zudem im Widerspruch zu anerkannten Menschenrechtskonventionen, insbesondere der UN- Kinderrechtskonvention und der UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frauen.

Aus all den genannten Gründen bitte ich Sie, ein Veto gegen die vorgeschlagene Verordnung der Europäischen Kommission einzulegen sowie sich gleichzeitig gegen ähnliche Initiativen auszusprechen und stattdessen ein internationales Verbot der Leihmutterschaft zu fordern – zum Wohle von Kindern, Frauen und der Gesellschaft als Ganzes.

Bischof Hermann Glettler, Referatsbischof in der Österreichischen Bischofskonferenz
für Familie und Lebensschutz

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