AT_EU / Familie: Anpassung von Familienleistungen verstößt gegen EU-Recht
IEF, 20.06.2022 – Der Europäische Gerichtshof gab der gegen Österreich erhobenen Vertragsverletzungsklage in vollem Umfang statt.
Kritische Stimmen gegen die türkis-blaue Maßnahme zur Anpassung der Familienbeihilfe an die Lebenshaltungskosten im EU-Ausland gab es von Anfang an (das IEF hat hierzu berichtet). Nachdem die Indexierung am 1. Jänner 2019 von der damaligen Regierung eingeführt worden war, erhob die EU-Kommission beim EuGH eine Vertragsverletzungsklage gegen Österreich.
Mit Urteil vom 16. Juni 2022 hat der EuGH nun entschieden, dass die Anpassung von Familienleistungen und verschiedenen Steuervergünstigungen, zu denen der Kinderabsetzbetrag, der Familienbonus Plus, der Alleinverdienerabsetzbetrag, der Alleinerzieherabsetzbetrag und der Unterhaltsabsetzbetrag gehören, diskriminierend sei. Die Anpassung führe nämlich zu einer Ungleichbehandlung von Wanderarbeitnehmern gegenüber Inländern, was wiederum gegen das Unionsrecht verstoße.
Verstoß gegen die Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit
Der EuGH stellte in seiner Entscheidung fest, dass die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag Familienleistungen im Sinne der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sind. Die Verordnung sieht vor, dass solche Leistungen nicht aufgrund der Tatsache gekürzt oder geändert werden dürfen, dass der Arbeitnehmer oder seine Kinder in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Da die in Österreich bestehenden Preisniveauunterschiede bei der Berechnung der Pauschalbeträge der Familienbeihilfe und anderer Steuervergünstigungen nicht berücksichtigt werden, dürfen die Kaufkraftunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten ebenfalls nicht als Grundlage für die Berechnung der Familienleistungen herangezogen werden, so der EuGH.
Verstoß gegen die Verordnung über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union
Was die Familienbeihilfe und die Gesamtheit der Steuervergünstigungen betrifft, wies der Gerichtshof darauf hin, dass nach dem Unionsrecht im Bereich der sozialen Sicherheit jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit der Wanderarbeitnehmer unzulässig sei. Da die Indexierung aber nur zur Anwendung komme, wenn das Kind nicht in Österreich wohnt, treffe sie im Wesentlichen die Wanderarbeitnehmer. Außerdem würden Betroffene großteils aus Staaten kommen, in denen die Lebenshaltungskosten niedriger sind als in Österreich, weshalb sie Familienleistungen sowie soziale und steuerliche Vergünstigungen in geringerer Höhe erhalten würden als österreichische Arbeitnehmer. Der Anpassungsmechanismus stelle daher eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit und einen Verstoß gegen die Verordnung über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union dar.
Nun liege es laut einer Pressemitteilung des EuGH an Österreich das Urteil umzusetzen und die diskriminierenden Maßnahmen aufzuheben. Sollte es dem Urteil nicht nachkommen, könne die EU-Kommission erneut klagen und finanzielle Sanktionen beantragen. (AH)