Regierungsvorlage für Sterbeverfügungsgesetz
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AT / Lebensende: Regierungsvorlage für „Sterbeverfügungsgesetz“ im Nationalrat eingebracht

IEF, 23.11.2021 – Trotz umfangreicher Kritik sieht Regierungsvorlage an das Parlament nur marginale Änderungen zum Erstentwurf vor.

Die Begutachtungsfrist zum Erstentwurf eines Gesetzes zur Regelung des assistierten Suizids in Österreich war mit 3 Wochen äußert knapp bemessen (Das IEF hat berichtet). Dennoch wurden insgesamt 138 Stellungnahmen fristgerecht eingebracht. Entsprechend der verschiedenen Positionierungen zur Suizidbeihilfe an sich, fallen auch die Stellungnahmen teilweise sehr auseinander. Allerdings gibt es auch durchgehend Schnittmengen bei Kritikpunkten, die unabhängig von vermeintlichen Weltanschauungen beanstandet werden.

Einheitliche Kritik am Titel bleibt ungehört

Ein wesentlicher Punkt dabei ist der Titel des Dokuments, mit dem in Zukunft ein letales Präparat wie etwa eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital in der Apotheke bezogen werden darf. Mehrere Institutionen kritisieren den Begriff „Sterbeverfügung“. So warnt etwa die Österreichische Gesellschaft für Suizidprävention (ÖGS) vor dieser verharmlosenden Benennung, da sie „als Signal der Befürwortung von Suiziden“ aufgefasst werden könne. Wie Prof. Alois Birklbauer, Leiter der Abteilung für Praxis der Strafrechtswissenschaften und Medizinstrafrecht an der Johannes Kepler Universität Linz (JKU) und Mitglieder der österreichischen Bioethikkommission, in seiner Stellungnahme  ausführt, sei der Titel aber vor allem irreführend, insbesondere auch in seiner Anlehnung an die Patientenverfügung. Im Gegensatz zur Patientenverfügung sie die geplante „Sterbeverfügung“ nämlich gerade keine „Handlungsermächtigung auf Vorrat“, da eine „Sterbeverfügung“ mit „Blick auf den Begriff der Selbsttötung in Abgrenzung zur Fremdtötung“ voraussetzt, „dass der Sterbewillige im Suizidzeitpunkt entscheidungsfähig ist.“ Vor diesem Hintergrund, so Birklbauer, sei der Begriff der „Sterbeverfügung“ durch seine Anlehnung an die Patientenverfügung dazu prädestiniert, zu Missverständnissen zu führen. Aus demselben Grund fordern u.a. auch die Österreichische Bioethikkommission, der Österreichische Rechtsanwaltskammertag und der Dachverband Hospiz Österreich eine Änderung des Titels.

„Es ist höchst bedauerlich, dass nicht einmal in diesem Punkt bis jetzt eine Änderung des Entwurfs möglich war.“, meint dazu Dr. Stephanie Merckens, Juristin am Institut für Ehe und Familie (IEF) und wie Birklbauer Mitglied der österreichischen Bioethikkommission. „Wenn sich bei einem derartigen Thema, bei dem die Positionen bezüglich des Inhalts sehr auseinander gehen, wesentliche Vertreter unterschiedlicher Standpunkte in einem Punkt so einig sind, dann muss man sich schon fragen, was die Politik hindert, auf Experten zu hören.“, so Merckens.

Psychiatrische Abklärung weiterhin nicht verpflichtend

Ähnlich verhält es sich bei der Forderung nach einer verpflichtenden Abklärung des freien Entschlusses durch Experten mit psychiatrischer Fachqualifikation. Schon in der ersten Reaktion auf den Entwurf war die Empörung groß, dass eine psychiatrische Abklärung nur auf Verdacht durch einen der Ärzte auf eine psychiatrische Erkrankung, deren Folge der Suizidwunsch sein könnte, stattfinden soll. Angesichts der Daten aus der Suizidforschung, demnach bis zu 90% der Menschen, die Suizid begehen, an einer psychiatrischen Erkrankung litten und Depressionen gerade im Alter oft sehr schwer erkennbar sind, liege eine verpflichtende psychiatrische Abklärung von Suizidwünschen eigentlich auf der Hand, so Merckens. Deutlich fordert daher u.a. auch die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP), dass im Rahmen der ärztlichen Aufklärung auch eine psychiatrische Expertise verpflichtend vorgesehen werden sollte. Aber wieder scheint die Politik auf jene, die tagtäglich mit der zu regelnden Materie zu tun haben, nicht hören zu wollen, so Merckens.

Suizidbeihilfe wird auch ohne Verfügung legal

Was auf den ersten Blick vielen vielleicht gar nicht klar war, kritisieren u.a. die Wiener Strafrechtlerin Gloria Burda, der Salzburger Strafrechtler Prof. Kurt Schmoller sowie die Österreichische Bischofskonferenz: Auch ohne Verfügung soll Suizidbeihilfe möglich sein. Immer dann, wenn Suizidbeihilfe bei einer volljährigen, ärztlich aufgeklärten Person mit schwerer Krankheit geleistet wird, ist der Assistent straffrei – unabhängig davon, ob eine „Sterbeverfügung“ gültig errichtet wurde oder nicht. Damit werden sämtliche Sicherheitsvorkehrungen, die das geplante „Sterbeverfügungsgesetz“ vorsieht, ad absurdum geführt, meint etwa Mag. Susanne Kummer, Ethikerin am Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE). Aber auch aus verfassungsrechtlicher Sicht ist die unterschiedliche Regelung der Suizide bedenklich, betont die Juristin Merckens. Denn im Strafrecht sei das Element der „Dauerhaftigkeit“ des Suizidentschlusses, das der Verfassungsgerichtshof verlangt, nicht deutlich abgebildet. Auch führe die unterschiedliche rechtliche Regelung dazu, dass Suizide mit Natrium-Pentobarbital strenger geregelt sind, als solche mit „herkömmlichen“ Mitteln. Damit komme es aber zu einer Privilegierung sogenannter „blutiger Suizide“, die sich nur schwer rechtfertigen lasse.

Enttäuschung nach Begutachtungsverfahren

Angesichts der wenigen Resonanz ist die Enttäuschung bei jenen, die innerhalb der kurzen Begutachtungsfrist teils umfangreiche Stellungnahmen erarbeitet haben, groß. Nach Einbringen in den Nationalrat am 18.11. wurde die Regierungsvorlage nun an den Justizausschuss zugewiesen. Dieser tagt planmäßig am 7. Dezember. Will man den Zeitplan halten, so muss das Gesetz in der nächsten Plenarsitzung des Nationalrates vom 15./16. Dezember beschlossen werden. Stellungnahmen können auch jetzt wieder eingebracht werden. Ob es allerdings zu nennenswerten Änderungen kommt, ist mehr als fraglich. (StM)

Lesen Sie zu dem Thema auch den Tagespost-Kommentar “Die Kirche steht auf der Seite des Lebens“.

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