AT / Lebensende: Reaktionen auf Entwurf zur Regelung der Suizidbeihilfe
IEF, 25.10.2021 – Einig zeigen sich Kritiker und Befürworter der Neuregelung in einem Punkt: die Frist zur Begutachtung ist kurz.
Wie Kathpress berichtet, wird das am Samstag, 23.10., von der Regierung präsentierte „Sterbeverfügungsgesetz“ im kirchlichem Umfeld kritisch aufgenommen. Während der Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung von allen Seiten begrüßt wird, zeigt man sich über die nun eröffnete Möglichkeit einer straffreien Beihilfe bei der Selbsttötung und die Eckpunkte der Ausgestaltung besorgt. Darüber hinaus brauche es aber noch Zeit zum Prüfen des Gesetzesentwurfes, der bis 12. November in Begutachtung steht.
Glettler: Ärzten Klärung der Willens- und Entscheidungsfreiheit „nicht zumutbar“
„Auch wenn der Entwurf zum Sterbeverfügungsgesetz einen respektablen Rahmen vorschlägt, um die straffrei gesetzte Beihilfe zur Selbsttötung vor Missbrauch zu schützen, bleibt dennoch die Grundhaltung der katholischen Kirche klar: Wir möchten alles dafür einsetzen, um Menschen in ihrer letzten Lebensphase gut zu begleiten und alle Möglichkeiten ausschöpfen, um unnötiges Leid zu vermeiden, doch die Beihilfe zum Suizid ist für uns keine ethisch vertretbare Option“, meldete sich Bischof Hermann Glettler anlässlich des Sterbeverfügungsgesetzes zu Wort. Der in Fragen des Lebensschutzes seitens der Österreichischen Bischofskonferenz zuständige Innsbrucker Bischof zollte trotzdem gegenüber Kathpress Respekt für „die Bemühung des Gesetzgebers, eine sensible und verantwortungsvolle Regelung vorzulegen“. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) habe es dem Gesetzgeber nicht einfach gemacht, Maßnahmen zum Schutz vulnerabler Gruppen zu erlassen, so Glettler. Den Ansatz, einen mehrstufigen Beratungsprozess als Schutz vor Irrtum oder übereiltem Handeln vorzusehen, findet Glettler richtig. Dass jedoch „zusätzlich zur medizinischen Diagnose und palliativmedizinischen Aufklärung die Ärzte auch noch die Frage der Willens- und Entscheidungsfreiheit des Suizidwilligen zu klären haben, ist eigentlich nicht zumutbar“. Hier solle unbedingt noch eine Anpassung erfolgen, wobei die vom Notar zu erstellende Sterbeverfügung in jedem Fall notwendig sein sollte. Nach einer ersten Durchsicht des Gesetzesentwurfs blieben für die Katholische Kirche auch wesentliche Fragen offen, so Glettler: „Wo etwa bleibt die verpflichtende Suizidprävention? Wo bleibt die rechtlich erhöhte Absicherung des Verbots der Tötung auf Verlangen?“. Die Gesetzesvorlage werde auch ein Hauptthema bei der November-Vollversammlung der Bischöfe sein, so Glettler, der eine detaillierte Stellungnahme der Bischofskonferenz im Rahmen der Gesetzesbegutachtung ankündigt.
Caritas: Wunsch nach unabhängigen Beratungsstellen
Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas Österreich ist erleichtert, dass nun zumindest ein erster Gesetzesentwurf vorliegt, der verhindern soll, dass Österreich mit Anfang 2022 in dieser sehr sensiblen Frage einen rechtsfreien Raum öffnet. Auch sie begrüßt, dass gleichzeitig das Hospiz- und Palliativfondsgesetz, das den Ausbau einer entsprechenden Versorgung vorsieht, in Begutachtung gegangen ist. Besorgt zeigt sie sich darüber, dass keine unabhängigen Beratungsstellen eingerichtet werden. „Es sind zwar zwei ärztliche Gespräche vorgesehen, jedoch wäre es auch wichtig, dass Betroffene über unabhängige Beratungsstellen zusätzlich die Möglichkeit auf eine neutrale Beratung – insbesondere auch über Alternativen – haben. Unsere Sorge ist, dass Beratungen durch institutionelle Anbieter der Sterbehilfe einseitig erfolgen können. Eine Beratung durch unabhängige neutrale Stellen wäre aus unserer Sicht wesentlich.“, so Parr.
Nicht ausreichend geklärt ist zudem das Benachteiligungsverbot für Trägerorganisationen. Parr begrüßt zwar, dass grundsätzlich ein Benachteiligungsverbot vorgesehen ist. Allerdings brauche es auch eine Garantie, „die sicherstellt, dass es weder eine direkte noch eine indirekte Verpflichtung zur Duldung oder Durchführung des assistierten Suizids in Einrichtungen der Pflege, Krankenbehandlung, Hospiz- und Palliativarbeit und anderen Einrichtungen mit vulnerablen Personengruppen geben wird.“
Ordenskonferenz: Auch Personal in Gesundheitseinrichtungen sind „Betroffene“
Die Generalsekretärin der Ordenskonferenz, Sr. Christine Rod, verweist auf die Bedeutung des Sterbeverfügungsgesetzes nicht nur für die Sterbewilligen selbst, sondern auch für das Personal in Gesundheitseinrichtungen – ihre Aufgabe sei es schließlich, „dem Leben und den Menschen zu dienen“. „Sie sind bei den Menschen, bauen Beziehungen auf, kennen die Sorgen und Bedürfnisse und dürfen jetzt durch diese Gesetzesänderung nicht in Bedrängnis gebracht werden.“ Schließlich seien auch die Trägereinrichtungen selbst betroffen, die Krankenhäuser, Hospize und Palliativstationen sowie Einrichtungen für behinderte und alte Menschen führen.
IMABE: Gewissensfreiheit muss erhalten bleiben
Susanne Kummer, Geschäftsführerin von IMABE, sieht in dem Gesetzestext den Versuch der „Quadratur des Kreises“ nach dem einschneidenden VfGH-Erkenntnis. Durch das Urteil des Höchstgerichts habe der Staat Suizid erstmals als akzeptable Möglichkeit definiert, dem Leiden ein Ende zu setzen, indem man frühzeitig sein Leben beendet, so Kummer. Positiv sei laut Kummer die Absicherung der Gewissensfreiheit: „So ist laut Gesetz niemand verpflichtet, Sterbehilfe zu leisten. Auch Apotheker dürfen nicht zur Abgabe des tödlichen Präparats verpflichtet werden. In keinem Fall darf ihnen daraus ein Nachteil erwachsen. Wirtschaftlicher Nutzen aus der Beihilfe zum Suizid wird ebenso verboten wie Werbung.“ Gemeinnützige Vereine, die wie in der Schweiz das Prozedere abwickeln, seien jedoch nicht per se ausgeschlossen. Die dreimonatige Frist als Voraussetzung eines „dauerhaften Entschlusses“ hält Kummer für zu kurz.
Die Stellungnahme von Stephanie Merckens, der Leiterin der Abteilung Politik am Institut für Ehe und Familie (IEF), zum Regelungsentwurf der Suizidbeihilfe können Sie hier nachlesen.
Salzburger Ärzteforum für das Leben: Gewissenskonflikte bei Palliativmedizinern vorprogrammiert
Das Salzburger Ärzteforum für das Leben, das sich im Rahmen der Salzburger Bioethikdialoge eingehend mit dem Thema der Suizidbeihilfe auseinandergesetzt hat, sieht zwar das ernsthafte Bemühen der Politik um Schutz von vulnerablen Personengruppen, kritisiert jedoch die zu kurze und der Tragweite der Thematik nicht entsprechende Begutachtungsfrist. Konkret zeigt sich das Ärzteforum erfreut über das Vorhaben, den Ausbaus der Hospiz- und Palliativversorgung gesetzlich abzusichern. Ebenso sei die Sicherung der Gewissensfreiheit für Mediziner zu begrüßen, auch wenn die Möglichkeit der Ablehnung von Suizidbeihilfe durch Träger von Krankenanstalten oder Pflegeeinrichtungen noch „unbedingt und explizit gewährleistet“ werden müsse. Kritisch betrachtet wird der im Gesetzesentwurf festgelegte Adressatenkreis der Suizidbeihilfe. Dieser sei aufgrund der Miterfassung von nicht lebensbedrohlichen chronischen Krankheiten, wie z.B. schweren rheumatischen Erkrankungen, zu weit gefasst und biete auch keine ausreichende Abgrenzung zwischen körperlich schwer beeinträchtigten und behinderten Personen. Damit würde „Betroffenen suggeriert, dass angesichts ihrer Behinderung ein assistierter Suizid eine in Erwägung zu ziehende Option sein könnte“. In Bezug auf Aufklärung und Information sieht das Ärzteforum die verpflichtende Beratung durch einen Palliativmediziner einerseits als positiv an. Gleichzeitig würde Suizidbeihilfe jedoch im klaren Widerspruch zum palliativen Ansatz stehen, was zu Gewissenskonflikten bei Palliativmedizinern führen würde. Kritisch sieht das Ärzteforum auch den Verzicht auf eine verpflichtende psychiatrisch-psychologische Beratung, zumal Ärzte aus anderen Fachbereichen psychische Störung nicht sicher erkennen könnten.
BIZEPS: Suizidbeihilfe als Einfallstor für problematische Entwicklungen
BIZEPS, ein Verein der u.a. eine Beratungsstelle für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige in Wien betreibt, befürchtet in einer Stellungnahme, dass der „Selbstbestimmt-Sterben“-Trend, der nun auch Österreich erreicht hat, das selbstbestimmte Leben von behinderten und chronisch/psychisch schwer kranken Menschen in Zukunft immer schwieriger machen wird. Neben positiven Aspekten des nun von der Regierung vorgestellten Sterbeverfügungsgesetzes, wie der Einschränkung auf volljährige Personen, der ärztlichen Aufklärung und Bedenkzeit, benennt BIZEPS auch einige Schattenseiten des Entwurfs. So sei die Zulassung der Sterbeverfügung für Personen, die „an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leidet, deren Folgen sie in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen“, ein „Einfallstor für problematische Entwicklungen“, wie man sie beispielsweise aus den Niederlanden kennt. Neben dem begrüßenswerten Ausbau einer flächendeckenden Hospiz- und Palliativversorgung vermisst BIZEPS in dem Gesetzesentwurf auch einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen. Ein Sterbeverfügungsgesetz, das vor einer eingeforderten Pflegereform in Angriff genommen wird, würde außerdem auf Pflege angewiesene Menschen und ihre Angehörigen angesichts unwürdiger Bedingungen und fehlender Unterstützung im Stich lassen.
Diakonie: Umgang mit Suizidbeihilfe in Heimen noch offen
Im Rahmen der ORF-Pressestunde zeigte sich die Direktorin der Diakonie Österreich Katharina Maria Moser verärgert über die kurze Begutachtungsfrist, diese sei „skandalös“. Wie bereits der evangelische Bischof Michael Chalupka fordert Moser einen Rechtsanspruch auf Palliativversorgung, der insbesondere eine entsprechende Versorgung auch überall in ländlichen Bereichen gewährleisten soll. Wie die Diakonie mit einem etwaig geäußerten Wunsch auf „Sterbehilfe“ in ihren eigenen Einrichtungen umgehen wird, lässt Moser derzeit offen. Dass Betroffene ausziehen müssten, sei abzulehnen. Zu überlegen sei, ob man allfällig gegründete Vereine in den Diakonie-Einrichtungen tätig lassen werden würde. Ganz klar auszuschließen sei jedenfalls, dass die Diakonie selbst Anbieter von assistiertem Suizid werde.
Proksch: Dignitas-Anwalt spricht offiziell von vernünftiger Regelung
„Fast schon glücklich“ über den Gesetzesentwurf, zeigt sich Rechtsanwalt Wolfram Proksch, der die Frage der Suizidbeihilfe für vier Sterbewillige vor den Verfassungsgerichtshof gebracht hatte, gegenüber der Kleinen Zeitung. „Das ist eine vernünftige Regelung, weit besser als erwartet“, so Proksch. Die ärztliche Beurteilung, was eine „schwere Krankheit“ ausmacht, die für eine Sterbeverfügung notwendig ist, sei jedoch noch immer „von Paternalismus geprägt“ – und widerspreche dem Erkenntnis des VfGH, der nur auf Willensfreiheit und Autonomie Wert lege. Zudem werde sich erst in der Praxis zeigen, wie streng etwa das Werbeverbot ausgelegt werde, so Proksch.
Die ersten Reaktionen der Protagonisten der „Sterbehilfe“ zeigen jedenfalls, dass ihnen der Entwurf nicht weit genug geht. Stephanie Merckens vom Institut für Ehe und Familie (IEF) geht daher davon aus, dass neue Klagen nicht lange auf sich warten lassen werden.
ÖGHL: Forderung nach Suizidbeihilfe in allen Hospiz- und Pflegeinrichtungen
Aus Sicht der Österreichischen Gesellschaft für ein Humanes Lebensende (ÖGHL) sei der geplante Gesetzesvorschlag gut, „allerdings müsste sichergestellt werden, dass hinter dem beabsichtigten Werbeverbot nicht ein generelles Informationsverbot steht – was unannehmbar wäre.“, heißt es in einem Statement. Auch dürfe das Gewinnverbot nicht bedeuten, „dass gemeinnützig orientierte Vereine oder Ärzte ohne Bezahlung arbeiten müssen“, so Wolfgang Obermüller, Politiksprecher der ÖGHL. „Um notleidenden Menschen einen niederschwelligen Zugang zur Freitodhilfe zu ermöglichen, ist es unbedingt notwendig, dass Freitodhilfe auch in Hospiz- und Pflegeeinrichtungen möglich ist.“ Es sei für die betroffenen Menschen nicht zumutbar, dass sie für ihre letzten Schritte ihre gewohnte Umgebung verlassen müssen.
Verein Letzte Hilfe: Auch aktive Sterbehilfe ermöglichen
Der Verein für ein selbstbestimmtes Leben – letzte Hilfe begrüßt in seiner Aussendung, dass der Gesetzgeber dem subjektiven Leidensdruck gegenüber einer festgelegten kurzen Lebenserwartung in der Neuregelung den Vorrang eingeräumt hat, betont der Sprecher der Initiative, Eytan Reif. Das Gesetz geht ihm jedoch nicht weit genug: Die Weigerung der Regierung, parallel zum assistierten Suizid auch das Verbot der Tötung auf Verlangen (aktive Sterbehilfe) zu legalisieren, führe einerseits zur Diskriminierung von Hilfesuchenden, die aufgrund einer Behinderung nicht imstande sind, von ihrem Recht auf assistierten Suizid Gebrauch zu machen. Andererseits würden Hilfesuchende dem Druck ausgesetzt, in Anbetracht einer drohenden Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustandes von ihrem Recht auf assistierten Suizid vorzeitig Gebrauch zu machen. Darüber hinaus sei die gesetzlich verankerte 12-wöchige Frist zwischen dem ersten Aufklärungsgespräch und dem Wirksamwerden der Sterbeverfügung sachlich nicht rechtfertigbar und dazu geeignet, Hilfesuchende um ihr „Recht auf einen selbstbestimmten Tod“ zu bringen, so Reif.
Bis 12. November können Stellungnahmen im Rahmen des Begutachtungsverfahrens auf der Parlamentsseite eingebracht werden. Das IEF wird weiter berichten. (KL)