
AT / Lebensende: Nationalrat beschließt Regelung der Suizidbeihilfe
IEF, 17.12.2021 – Österreichischer Nationalrat beschließt Regeln für straffreie Suizidassistenz ab 1.1.2022
Nach einem entsprechenden Entscheid des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) musste entgegen dem bisherigen Österreichischen Konsens eine Regelung für straffreie Assistenz zum Suizid gefunden werden. Trotz erkennbarem Bemühen um restriktive Ansätze stößt das Gesetz weiterhin auf große Kritik.
Wie das IEF laufend berichtet hat, hob der Österreichische Verfassungsgerichtshof mit seiner Entscheidung vom 11.12.2020 das bisherige ausnahmslose Verbot der Mitwirkung am Selbstmord als verfassungswidrig auf, weil es gegen ein Recht auf selbstbestimmte Lebensführung verstoßen würde.
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Der Gesetzgeber hatte in Folge ein Jahr Zeit, Rahmenbedingungen zu erlassen, die einen geregelten Ablauf einer straffreien Suizidassistenz sicher stellen sollten. Unabhängig von gesetzlichen Rahmenbedingungen würde aber jedenfalls ab 1.1.2022 die straffreie Suizidassistenz in Österreich möglich sein, weil der VfGH als Kassationsgericht die entsprechende Verbotsbestimmung aus dem Strafrecht „gehoben“ hatte.
Justizministerin Alma Zadic berief daraufhin – allerdings erst im April 2021 – erstmalig ein „Dialogforum“ ein, in dem ca. 30 Experten fünf Tage lang eingehend die verschiedenen Standpunkte zur Regelung der Suizidbeihilfe berieten.
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Trotz zahlreichem Drängen wurde dann allerdings erst am 23.10. d.J. ein Entwurf des Justizministeriums in die vorparlamentarische Begutachtung geschickt, der ein neues „Sterbeverfügungsgesetz“, eine Änderung des Strafrechts und eine Änderung des Suchtmittelgesetzes vorsah. Zeitgleich wurde ein Hospiz- und Palliativfondsgesetz im Entwurf vorgestellt, welches in Form einer Drittelfinanzierung aus Bund, Ländern und Sozialversicherung eine finanzielle Aufstockung der Mittel für die Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich um EUR 1,8 Mio vorsieht. Trotz sehr kurzer Begutachtungszeit von knapp drei Wochen wurden zahlreiche substantielle Stellungnahmen eingebracht.
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Im Endeffekt fanden aber nur wenige Anregungen und Forderungen aus dem Begutachtungsprozess Eingang in die am 18.11. schlussendlich in den Nationalrat eingebrachte Regierungsvorlage. Auch der zur Befassung zuständige Justizausschuss brachte keinen Änderungsantrag ein.
In letzter Minute wurde dann doch noch von den Koalitionsparteien durch die Justizsprecherin der ÖVP, Michaela Steinacker, ein Änderungsantrag in der laufenden 2. Lesung im Nationalrat am 16.12. eingebracht. Dabei ging es um die Absicherung des Freiwilligkeitsgebots und des Benachteiligungsverbots auch für Apotheker und die nicht unwichtige Maßnahme, dass nicht jede Apotheke das letale Mittel zur Verfügung stellt, sondern erst im Zuge der Errichtung beim Notar oder der Patientenanwaltschaft dem Suizidwilligen bekannt gegeben wird, welche Apotheke in dessen Einzugsbereich ein letales Mittel ausgegeben würde.
Eine kleine – aber vielleicht doch wesentliche – Änderung hat zudem im Hinblick auf die Definition der „sterbewilligen“ Person durch die Einfügung des Wörtchens „selbst“ Eingang gefunden. Die nunmehrige Definition lautet demnach: „sterbewillige Person: eine Person, die ihr Leben selbst beenden will“.
Weitere kritisierte Aspekte wie die fehlende Verpflichtung der psychiatrischen Abklärung, die strafrechtliche Verankerung einer Bedenkzeit oder auch die Abänderung der irreführenden Bezeichnung „Sterbeverfügung“ wurden nicht korrigiert.
Nunmehr muss noch der Bundesrat dem Gesetz in seiner Sitzung am 22.12. zustimmen. Sodann muss der Bundespräsident das Gesetz fristgerecht unterzeichnen, damit es am 1.1.2022 in Kraft treten kann.
Straffreie Suizidassistenz in Österreich: Zum Prozedere
Ab dann kann in Österreich unter folgenden Bedingungen straffrei Suizidassistenz geleistet werden:
Die suizidwillige Person muss
- volljährig sein
- an einer unheilbaren bzw. schweren Krankheit im Sinne des „Sterbeverfügungsgesetzes“ leiden
- und von zwei unabhängigen ärztlichen Personen im Sinne des „Sterbeverfügungsgesetzes“ aufgeklärt worden sein.
Für die Straffreiheit der Assistenzleistung ist aber die sog. „Sterbeverfügung“ keine notwendige Voraussetzung – auch wenn eine Errichtung aus Beweisgründen ratsam ist. Auch ist weder eine Bedenkzeit zwischen der Aufklärung und der Assistenzleistung zwingend vorgesehen, noch wurde die Methode des Suizidmittels beschränkt.
Die durch ein eigenes Gesetz eingeführte sog. „Sterbeverfügung“ ist folglich nur dann zwingend erforderlich, wenn die suizidwillige Person sich das Leben mit einem im „Sterbeverfügungsgesetz“ vorgesehenen letalen Präparat nehmen möchte. In der Erstfassung geht es dabei explizit um das Präparat Natrium-Pentobarbital, das für diese Zwecke im Suchtmittelgesetz erst eigens zugelassen werden musste.
Das „Sterbeverfügungsgesetz“ sieht sodann ein detailliertes Prozedere vor, welches aus Schutz vor Übereilung und Irrtum mehrere Schritte zur Absicherung des vom VfGH geforderten freien, aufgeklärten, informierten und dauerhaften Willens vor Errichtung einer sog. „Sterbeverfügung“ vorsieht. Konkret geht es dabei um Folgendes:
Die sterbewillige Person muss über Alternativen aufgeklärt werden, und zwar von zwei unabhängigen ärztlichen Personen, von denen eine über eine palliativmedizinische Qualifikation verfügt. Eine krankheitswertige psychische Störung schließt die Entscheidungsfähigkeit aus. Bei Zweifeln, ob der Sterbewunsch in einer solchen Störung begründet liegt, muss zusätzlich eine Abklärung durch einen Psychiater oder eine klinische Psychologin erfolgen. Die sterbewillige Person wird über die Dosierung und Einnahme des zum Tod führenden Präparats und dessen Auswirkungen sowie über konkrete Angebote für ein psychotherapeutisches Gespräch und suizidpräventive Beratung aufgeklärt.
Jene ärztliche Person, die über die Behandlungsalternativen aufklärt, muss bestätigen, dass die sterbewillige Person entweder an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leidet, deren Folgen sie in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen. In beiden Fällen muss die Krankheit einen für die sterbewillige Person nicht anders abwendbaren Leidenszustand mit sich bringen.
Nach Verstreichen einer Bedenkzeit ist auf zweiter Ebene eine Sterbeverfügung bei einem Notar bzw. einem rechtskundigen Mitarbeiter der Patientenvertretungen zu errichten. Auch bei diesem Gespräch ist die Entscheidungsfähigkeit zu beurteilen und zu dokumentieren, ein umfassendes Gespräch über die im Aufklärungsgespräch thematisierten Punkte durchzuführen, auf Alternativen hinzuweisen und die sterbewillige Person insbesondere über die rechtlichen Auswirkungen ihrer Entscheidung zu belehren. Eine Sterbeverfügung kann nur wirksam errichtet werden, wenn die sterbewillige Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hat oder österreichische Staatsangehörige ist. Unmittelbar nach der Errichtung einer Sterbeverfügung ist diese an das Sterbeverfügungsregister zu melden.
Nach Vorlage einer wirksamen Sterbeverfügung dürfen gelistete Apotheken das letale Präparat in der in der Sterbeverfügung angegebenen Dosierung kontrolliert abgeben. Sie müssen die Abgabe an das Sterbeverfügungsregister melden.
Unabhängig vom Vorliegen einer Sterbeverfügung muss aber die Entscheidungsfähigkeit der suizidwilligen Person jedenfalls zweifelsfrei gegeben sein – und zwar nicht nur im Zeitpunkt der Aufklärung, sondern auch im Zeitpunkt des Suizids selbst, um im Falle eines Todes überhaupt von Suizid im Sinne des Strafrechts reden zu können. Fehlt es an der Entscheidungsfähigkeit im Zeitpunkt der Tötungshandlung, so liegt entweder ein Unfall oder gar ein Fremdtötungsdelikt vor. (StM)