
AT / Lebensende: Erneuter Antrag an den VfGH zur „Sterbehilfe“ in Österreich
IEF, 05.07.2023 – Weil die ÖGHL mit dem derzeit geltenden Sterbeverfügungsgesetz nicht zufrieden ist, zieht sie erneut vor den VfGH.
Am 11. Dezember 2020 kippte der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) das Verbot der Suizidbeihilfe und reformierte den § 78 des österreichischen Strafgesetzbuchs (StGB). Gleichzeitig spielte er den Ball an die Gesetzgebung zurück, die bis zum Ende des Jahres 2021 Zeit hatte, Regelungen zu erlassen, die einen geregelten Ablauf einer straffreien Suizidassistenz sicher stellen sollten. Daraufhin wurde das sogenannte Sterbeverfügungsgesetz beschlossen, das eine straffreie Suizidassistenz unter folgenden Bedingungen vorsieht: Die suizidwillige Person muss volljährig und entscheidungsfähig sein, an einer unheilbaren bzw. dauerhaften schweren Krankheit im Sinne des Sterbeverfügungsgesetzes leiden und von zwei unabhängigen ärztlichen Personen im Sinne des Sterbeverfügungsgesetzes aufgeklärt worden sein.
„Unzureichend und widersprüchlich“
Die Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) zeigt sich indes mit dem Wortlaut des Sterbeverfügungsgesetzes unzufrieden. Es sei „nicht geeignet, den Zugang zur Sterbehilfe und damit zum Menschenrecht, über Art und Zeitpunkt des eigenen Lebensendes selbst bestimmen zu können – auch im Sinne des VfGH – zu gewährleisten“, so die Kritik der ÖGHL, die sich auch die Aufhebung des Verbots der Tötung auf Verlangen, erhofft. Die Wartefrist von 12 Wochen sei zu lang, die Gültigkeit der Sterbeverfügung von einem Jahr sei zu kurz und mit zu hohen Kosten verbunden. Problematisch sei darüber hinaus, dass das medizinische Personal Suizidassistenz aus Gewissensgründen ablehnen dürfe. Zudem prangert die ÖGHL das im Gesetz festgehaltene Werbeverbot als „rigides Kommunikationsverbot“ an, das es dem Verein nicht ermögliche, offen über alle Möglichkeiten zu informieren oder Sterbewillige persönlich zu begleiten. „Uns erreichen viele Anfragen von Hilfesuchenden, die sich im Gesetz nicht zurechtfinden. Wir würden als Verein gerne helfen, dürfen aber nicht“, so die ÖGHL. In ihrem Anliegen wird die ÖGHL vom Schweizer „Sterbehilfe“-Verein Dignitas unterstützt.
„Tötung auf Verlangen“ nicht geprüft?
In mehreren Berichten zum erneuten Antrag beim VfGH zur „Sterbehilfe“ wird behauptet, dass der VfGH die Tötung auf Verlangen nicht geprüft habe und dass dies laut Rechtsanwalt Wolfram Proksch, der bereits den ersten Individualantrag an den VfGH begleitet hatte, nicht mehr haltbar sei. Tatsächlich hat der VfGH aber die „aktive Sterbehilfe“ behandelt, deren Legalisierung allerdings abgelehnt, da der Anfechtungsumfang zu eng gewesen sei. Die Aufhebung des §78 StGB hätte bedeutet, dass die Tötung eines Menschen auf dessen Verlangen als Mord oder Totschlag zu qualifizieren sei und die Bedenken hinsichtlich dieses Paragraphen nicht ausgeräumt worden wären. Schon damals war klar, dass ein weiterer Antrag folgen werde, wenn dem Antrag auf Aufhebung des Verbots der Tötung auf Verlangen nicht stattgegeben werde.
Mit dem Urteil des VfGH ist eingetreten, wovor Expertinnen und Experten jahrelang gewarnt hatten: Die Legalisierung der „Sterbehilfe“ ist ein Prozess, beim dem Stück für Stück die Hürden des erlaubten Tötens fallen und der Schutz des Lebens ausgehöhlt wird. Dennoch oder gerade deshalb ist es wichtig, an möglichst engen gesetzlichen Hürden festzuhalten, da dadurch das Leben vieler geschützt wird, während gesellschaftlich an einer Kultur des Lebens gearbeitet werden kann. Ein Kultur des Lebens würde u.a. die Achtung und Wertschätzung von alten, kranken und behinderten Menschen beinhalten, ihre finanzielle Absicherung, eine Strategie gegen die wachsende Vereinsamung in unserer Gesellschaft und natürlich den Ausbau des palliativmedizinischen Angebots und der Pflege, sodass jeder, der eine besondere Betreuung braucht, diese auch erhält. (TS)