Selbstbestimmungsrecht
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AT / Lebensende: Behindertenrat fordert Selbstbestimmungsrecht im Leben

IEF, 13.09.2021 – Offener Brief des Österreichischen Behindertenrates an die Regierung in Sachen Suizidbeihilfe.

Das Erkenntnis des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs (das IEF hat berichtet) zur „Sterbehilfe“ in Österreich hat vielerorts große Besorgnis hervorgerufen. Jetzt hat sich der Österreichische Behindertenrat in einem offenen Brief an die Bundesregierung gewandt und fordert vor allem ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Behinderung. Es sei zynisch die Suizidbeihilfe mit dem Selbstbestimmungsrecht auf Sterben zu argumentieren, solange ein selbstbestimmtes Leben gerade für Menschen mit Behinderung an vielen Stellen noch verunmöglicht werde.  Es sei daher unabdingbar, sich zuerst der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu widmen. Konkret fordert der Behindertenrat den Zugang zu Hilfsmitteln und umfassender persönlicher Assistenz sowie zu psychosozialen Unterstützungs- und Therapieangeboten für Betroffene, aber auch deren Angehörige. Angst, Einsamkeit oder die Sorge, anderen zur Last zu fallen, sollten keineswegs der Grund für die Inanspruchnahme eines assistierten Suizids sein. Aber auch eine verfassungsrechtliche Absicherung des Verbots der Tötung auf Verlangen sei erforderlich, um Dammbruchentwicklungen wie in den Niederlanden oder Belgien zu verhindern.

Forderung nach De-Institutionalisierung

Einen wichtigen Punkt für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung stelle auch deren freie Entscheidung dar, wo und mit wem sie leben wollen. Dafür brauche es Unterstützung ohne strukturelle Vorgaben. Fehlende Alternativen würden die Menschen in ein Heim zwingen, vor dem viele Angst hätten. Die Forderung nach einer De-Institutionalisierung habe daher für den Behindertenrat oberste Priorität, da dadurch auch strukturelle Gewalt an Menschen mit Behinderung vermieden werden könne.

Ausbau von Alternativangeboten

Mit der Patientenverfügung und der Vorsorgevollmacht sei es bereits jetzt schon möglich, selbstbestimmt über etwaige zukünftige Behandlungen entscheiden zu können beziehungsweise eine Vertrauensperson im Falle der Entscheidungs- oder Äußerungsunfähigkeit als Entscheidungsträger auszuwählen. Nun gelte es, diese Angebote unter den Menschen bekannt zu machen sowie die Informationen, die nicht sehr weit verbreitet seien, barrierefrei zur Verfügung zu stellen. Auch finanzielle Hürden sollten beseitigt werden, so der Behindertenrat. Außerdem bestehe weiterhin die Forderung nach einem flächendeckenden Ausbau der Hospiz- und Palliativmedizin und dem Zugang zu einer umfassenden, ausreichenden Schmerztherapie. Der Behindertenrat fordert zudem die öffentliche Finanzierung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zur Hospiz- und Palliativpflege mit Spezialisierung auf Menschen mit Behinderung.

Verfassungsrechtliches Verbot der Tötung auf Verlangen

Ausdrücklich lehnt der Behindertenrat die aktive „Sterbehilfe“ in der Form der Tötung auf Verlangen ab und fordert diesbezüglich ein verfassungsrechtlich verankertes Verbot. Suizidprävention müsse auch nach Legalisierung des assistierten Suizids an oberster Stelle stehen und weiter gefördert werden. Um Missbrauch zu vermeiden, müsse erbberechtigten Angehörigen die Assistenz zum Suizid verwehrt werden.

„Sterbehilfe“ nur unter strikten Rahmenbedingungen 

Bei der Inanspruchnahme von „Sterbehilfe“ fordert der Behindertenrat klare Rahmenbedingungen und ein etappenweises Vorgehen. Psychische Erkrankungen dürften die Entscheidung der Suizidwilligen nicht beeinflussen. Auf den gänzlich und dauerhaft freien Willen solle abgestellt werden. Suizidbeihilfe solle zudem keinesfalls als ärztliche Leistung definiert werden. Mit dem Tod solle auch kein neuer Geschäftszweig eröffnet werden.

Petition will Beihilfe zum Leben

Unterstützt werden diese Anliegen von der gleichzeitig gestarteten Open Petition „Beihilfe zum Suizid erlaubt? Aber wo bleibt die Beihilfe zum Leben?“, die u.a. online unterzeichnet werden kann. Initiiert wurde die Petition vom ehemaligen ÖVP-Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg, dem Präsidenten der Lebenshilfe Germain Weber und der Expertin für Behindertenarbeit Dorothea Brozek. Gefordert werden u.a. ein Rechtsanspruch auf Palliativ- und Hospizversorgung, auf persönliche Assistenz im Leben sowie auf verfassungsrechtliche Absicherung des Verbots der Tötung auf Verlangen. (TS)

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