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AT / Kirche: Dem Leben und der Liebe verpflichtet

IEF, 14.10.2024 – Familienbischof Glettler lädt zum Gespräch über zeitgemäße Sexualpädagogik ein.

Mitten in den vielfältigen Diskussionen in Medien, Gesellschaft und Politik rund um eine zeitgemäße oder kindgerechte Sexualpädagogik, stellte Familienbischof Glettler am Donnerstag, den 10. Oktober, am Institut für Ehe und Familie (IEF) in Kooperation mit dem Katholischen Familienverband Österreich (KFÖ) ein Orientierungspapier der Österreichischen Bischofskonferenz zum Thema Sexualpädagogik vor. Damit eröffnete er ein Gespräch rund um folgende Fragen: Was macht eine christlich fundierte Sexualpädagogik in ihrem Kern aus? Welchen Beitrag kann die Kirche zu einer zeitgemäßen Sexualpädagogik leisten?

Broschüre als „Einladung zum Gespräch“

Die absichtlich knapp gehaltene, 16-seitige Broschüre mit dem Titel „Dem Leben und der Liebe verpflichtet“ wurde über mehrere Jahre hinweg vom Arbeitskreis „Runder Tisch Sexualpädagogik“ am IEF entwickelt und im März 2024 von der Österreichischen Bischofskonferenz approbiert. Wie Bischof Glettler betonte, sei das Papier weder eine „finale Lehrverkündigung“, noch eine „in Stein gemeißelte Leitlinie“, sondern eine Anregung zur weiteren Diskussion. An dieser Diskussion wolle „das IEF als Plattform des Dialogs, der Vernetzung und der Bildung“ mitwirken, so Johannes Reinprecht, Direktor des IEF.

Was kann die Kirche in diesen Dialog mit einbringen?

„Wahrscheinlich wundern sich einige, dass die Kirche überhaupt den Mund aufmacht zu diesem Thema“, äußerte sich zu Beginn der Veranstaltung Bischof Glettler. Das Verhältnis von Kirche und dem Themenbereich Liebe, Sexualität und Erotik sei in der Vergangenheit oft schwierig gewesen. Erst vor kurzem habe die Weltsynode im Vatikan darauf hingewiesen, dass die Kirche in der Vergangenheit öfter „keine Freundin des Lebens“ gewesen sei und um Vergebung gebeten. Mit der Veröffentlichung der Broschüre melde sich die Kirche mit einem Lebenszeichen in der Sexualpädagogik-Debatte, und zwar, „selbstkritisch, aber auch selbstbewusst, weil wir Werte einbringen können“, so Bischof Glettler.

Kirche als Freundin des Lebens

Der rote Faden in der Broschüre sei das Wort „Beziehung“, erklärte der Bischof. In diesem wichtigen pädagogischen Feld könne Kirche zur Beziehung ermutigen und die Beziehungsfähigkeit von Menschen stärken: „Erst am Du und am Wir findet der Mensch zu sich selbst“, heißt es in der Broschüre. Dieser Satz sei auch als Korrektiv für einige der Schlagwörter, die oft in der Debatte um eine zeitgemäße Sexualpädagogik herumgeistern, zu verstehen: „Vielfalt, Selbstbestimmung, Lust und Spaß“ – seien „ok“, wenn sie durch „Beziehung“ eine neue Dimension erhalten.
Vor diesem Beziehungs-Hintergrund bedeute auch Sexualpädagogik ein „verantwortliches Hinführen“ von jungen Menschen dahingehend, dass sie selbst Verantwortung übernehmen und in einer übersexualisierten Welt – die sie oft überfordere und orientierungslos hinterlasse – lernen, eigenständig „das Gute zu wählen“.

Ein Blick in die Broschüre: „Der Mensch ist nicht etwas, sondern jemand“

Eigenständigkeit und Beziehungsfähigkeit – „der Mensch ist nicht etwas, sondern jemand“, heißt es in der Broschüre. Damit sei der Mensch imstande, „Herr über sich zu sein, sich in Freiheit dafür zu entscheiden, sich hinzugeben und in Gemeinschaft mit anderen Personen zu treten“. „Der Mensch ist Beschenkter und Geschenk“, so Bischof Glettler am Donnerstagabend. (Mehr zum Thema Sexualität und Menschsein aus christlicher Perspektive >>hier in unserem letzten IEF-Talk.)

Stimmen aus dem Podium

Im Rahmen der Podiumsdiskussion kamen auch Experten aus verschiedenen Wirkungsfeldern zu Wort.

Susanne Pointner, Psychotherapeutin sowie Vorsitzende des Ausbildungs- und Methodenforums im Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP) sei „dankbar für die Schrift“. Das Orientierungspapier sei aus psychotherapeutischer und psychologischer Sicht unter anderem deswegen, „sehr zu begrüßen“, weil es auf die Eigenverantwortung des Menschen setze. In Anbetracht des Anstiegs an Depressionen, Angstzuständen und Suizidgedanken bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen habe die Kirche vor allem als Werteträgerin etwas zu bieten. Auch ermutigte Pointner an einer „leibfreundlichen Haltung“ weiterzuarbeiten und sich der Frage zu widmen, wie man lebenslang Beziehung leben könne, um Paaren Hilfestellungen zu bieten.

Andrea Pinz, Leiterin des Erzbischöflichen Amtes für Schule und Bildung Wien, betonte, dass katholische Schulen zwar kirchliche Orte seien, allerdings Orte mit einer hohen Pluralität, an denen eine besondere Sensibilität geboten sei. Wenn Inhalte nicht von vornherein zu Irritationen führen sollen, dann müsse katholische Pädagogik – und damit auch Sexualpädagogik –lebensweltsensibel, modernitätskompatibel und menschenfreundlich sein. Kurz: Kinder sollten dort abgeholt werden, wo sie mit ihren Fragen sind. Dabei bedeute „modernitätskompatibel“ nicht, „dem Zeitgeist hinterherzulaufen“.

Andrea Kahl, Mutter und Lehrerin sowie Leiterin des Arbeitskreises Betreuung und Bildung des KFÖ, brachte eine Eltern-Perspektive in die Diskussion ein. Zu oft werde Sexualpädagogik auf die Vermittlung von „biologischen Eckdaten und auf eine einseitige Lustbetonung“ reduziert. Auch sie betonte, wie wichtig es sei, gelebte Beziehung zum Kontext von Sexualpädagogik zu machen, zum Beispiel durch die Vermittlung von Werten und Haltungen, wie zum Beispiel „Vertrauen aus dem erst Vertrautheit entsteht“. Es gehe hierbei nicht um Prüderie, sondern um die „Fülle des Lebens“, die nicht in reduzierter Version weitergegeben werden sollte. Besonders begrüßenswert an der Broschüre sei die Tatsache, dass in ihr die Eltern als „kompetente Ansprechpartner und als Experten für ihr Kind“ angesprochen werden. Kahl plädierte für niederschwellige Angebote für Eltern, damit diese als Haupterzieher nicht nur gefordert, sondern auch gefördert werden.

Als letzter Gesprächspartner erklärte Wolfgang Mazal, Leiter des Österreichischen Instituts für Familienforschung sowie Sprecher des Boards der Geschäftsstelle zur Qualitätssicherung außerschulischer Angebote im Bereich Sexualpädagogik, dass die Aufgabe des Staates einerseits die sei, „Elternrechte zu wahren“, aber auch „Kinder zu informieren, und zwar auf Höhe der Wissenschaft unserer Zeit“. Die Geschäftsstelle zur Qualitätssicherung außerschulischer, sexualpädagogischer Angebote sei eingerichtet worden, um Angebote zu begutachten. Es handle sich dabei nicht um ein Lizenzierungsverfahren, sondern um einen Begutachtungsprozess, welcher dazu anregen wolle, zu schauen, welches das konkrete Angebot und nicht die „Vision“ von sexualpädagogischen Vereinen und Initiativen sei. (Das IEF hat über die Geschäftsstelle zur Qualitätssicherung berichtet.Mazal äußerte sich positiv zur präsentierten Broschüre. Sie informiere über den Standpunkt der Kirche in Sachen Sexualpädagogik und rege zum Gespräch an: „Wir dürfen nicht stehen bleiben!“. Sein Appell ging besonders auch an Eltern: „Die Eltern haben einen Stand in dieser Debatte! Lassen Sie das Feld nicht jemand anderem über!“

Ähnlich lautet der Appell von Johannes Reinprecht (IEF) „wirklich in Dialog zu treten“, sich dabei „nicht in eigene Echo-Räumen zu begeben“, sondern bewusst „den Blick der Andersdenkenden zu suchen“.

Print-Versionen der Broschüre sind erhältlich unter office@ief.at. (SM)

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