Familienpolitik
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AT / Familie: Rückblick auf 10 Jahre Familienpolitik

IEF, 22.06.2021 – Am 2. Juni wurde im Familienausschuss des Nationalrats der 6. Familienbericht im Beisein zahlreicher Experten präsentiert.

Der Familienbericht bietet einen Überblick über die Entwicklung familienpolitischer Maßnahmen in den Jahren 2009 bis 2019 und Einblicke in die Situation der Familien in Österreich. Begleitet wurde die Vorstellung des Berichts von einem Expertenhearing.

Mazal: hohe Erwartungshaltung gegenüber Familien

Die wichtigsten Inhalte der Studie wurden vom wissenschaftlichen Koordinator des Familienberichts, dem Leiter des Österreichischen Instituts für Familienforschung, Universitätsprofessor Wolfgang Mazal, vorgestellt. Der Bericht gehe in seinen fast 1.200 Seiten auf Themen wie Verteilungswirkung der familienpolitischen Leistungen, Armutsgefährdung, Gewalt in der Familie, Kinderbildung und -betreuung, geschlechtsspezifische Rollen oder Kinderwunsch und dessen Realisierung ein. Generell sei laut Mazal die Erwartungshaltung gegenüber Familien sehr hoch. Sie würden als Orte der Geborgenheit gelten, der Begriff „Familie“ hätte sich in den letzten Jahren jedoch weiterentwickelt. Es sei ein starker Zuwachs an alternativen Lebensmodellen, wie Ein-Eltern-Familien, Lebensgemeinschaften und unehelichen Geburten zu verzeichnen. Die Geburtenrate hätte durchschnittlich 1,5 Kinder pro Frau betragen, wobei neuerlich Männer verstärkt Konflikte in Zusammenhang mit der „Work-Family-Balance“ erleben würden. Als positiv wertete Mazal den Ausbau der Kinderbetreuung bei den unter 3-Jährigen, der zu einer Verdoppelung der Betreuungsquote führte.

Raab: Österreich könne sich im internationalen Vergleich sehen lassen

Zufrieden mit den familienpolitischen Leistungen der letzten Dekade zeigte sich auch Bundesministerin Susanne Raab. Mit der Widmung von 10% des österreichischen BIP an Familien, mit Ausgaben von 3,5 Mrd. Euro für die Familienbeihilfe im Jahr 2019 und 1,2 Mrd. Euro für das Kinderbetreuungsgeld könne sich Österreich im internationalen Vergleich durchaus sehen lassen, so Raab. Die Ministerin wies auch darauf hin, dass die Corona-Pandemie einmal mehr gezeigt hätte, dass Familien „Eckpfeiler der Gesellschaft“ seien und in der Pandemie Außerordentliches geleistet hätten. Besonders erfreulich sei der im Bericht festgestellte Rückgang bei der Armutsgefährdung und die stufenweise Erhöhung der Familienbeihilfe und des Familienbonus Plus, von dem 1,6 Millionen Kinder profitieren würden. Als Erfolg wertete Raab auch den Ausbau der Kinderbetreuung, in die zwischen 2008 und 2018 insgesamt 442,5 Mio. € geflossen seien.

Lugert: für Wahlfreiheit bei Kinderbetreuung

Was die finanziellen Familienleistungen betrifft, pflichtete Alexandra Lugert vom Österreichischen Familienbund der Ministerin bei. Sie forderte jedoch im Bereich Kinderbetreuung ein verstärktes Eingehen auf unterschiedliche Bedürfnisse der verschiedenen Lebensmodelle und die Gewährleistung von Wahlfreiheit. Außerdem brauche es eine Entschärfung der Pensionsnachteile durch ein Pensionssplitting, eine Aufwertung der familienbedingten Teilzeitarbeit und Programme, die es Männern ermöglichen würden, sich verstärkt in die Kindererziehung einzubringen.

Glassner: Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch Elternteilzeitmodelle verbessern

 Vera Glassner, Leiterin der Abteilung Frauen und Familie in der Arbeiterkammer Wien, wies in ihrem Plädoyer darauf hin, dass der Familienbericht zu wenig auf die Situation der Alleinerziehenden und Ein-Eltern-Familien, die überproportional von Armut betroffen seien, eingehen würde. Sie wünsche sich auch einen stärkeren Ausbau der frühen Hilfen, der aufsuchenden Sozialarbeit sowie der psychotherapeutischen Angebote für Kinder und Jugendliche. Außerdem gab sie zu bedenken, dass Elternteilzeitmodelle zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie beitragen würden und forderte eine Umschichtung von finanziellen hin zu Sachleistungen in der Familienpolitik.

Danhel: Familien als Leistungsträger

Der ehemalige Direktor des Instituts für Ehe und Familie (IEF), Günter Danhel, kritisierte im Rahmen des Expertenhearings, dass Familien im Bericht zu wenig als leistungsstarkes System, als Subjekte mit eigener Würde und eigenen Werten und daraus resultierenden Freiheits- und Mitbestimmungsrechten betrachtet würden. Familienleistungen wie Betreuung, Erziehung und Pflege lägen im Interesse der gesamten Gesellschaft und müssten im Transfer- und Steuerrecht Berücksichtigung finden. Er plädierte in dem Zusammenhang dafür, den Familienlasten- zu einem Familienleistungsausgleich zu machen und die finanziellen Unterstützungen für Familien regelmäßig zu valorisieren.

Modell der Volkshilfe zur Kindergrundsicherung und Kinderbetreuung von Kleinkindern

Weitere Experten, die im Familienausschuss während der Präsentation des Familienberichts zu Wort kamen, waren Erich Fenninger von der Volkshilfe Wien und Monika Köppl-Turyna, Direktorin von EcoAustria. Fenninger ging in seinem Statement vor allem auf das Thema Kinderarmut ein. In Österreich sei jedes fünfte Kind armuts- und ausgrenzungsgefährdet, wobei Alleinerziehende und Mehrkindfamilien besonders von Armut betroffen seien. Als Ausweg aus der prekären Situation, die sich durch die Corona-Krise noch verschärft hätte, schlug Fenninger das Modell der Volkshilfe zur Kindergrundsicherung vor. Köppl-Turyna ging schließlich auf den volkswirtschaftlichen und persönlichen Wert der Kinderbetreuung ein und wies auf Nachholbedarf bei der Gruppe der unter 3-Jährigen hin, wo Österreich mit 23% unter dem EU-Durchschnitt von 35% liege. (AH)

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