AT / Familie: Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung – wer will was (nicht)?
IEF, 22.10.2021 – Ex-Kanzler Kurz soll den Ausbau der Nachmittagsbetreuung mit Rechtsanspruch aus strategischen Gründen verhindert haben, dieser Vorwurf stellt die Forderung nach einer Ganztagesbetreuung erneut in den Mittelpunkt einer breiten Diskussion.
Mitterlehner-Pläne bewusst vereitelt?
Im Rahmen der Auseinandersetzung mit den zwischen Sebastian Kurz und dem damaligen Generalsekretär des Finanzministeriums Thomas Schmid im Jahr 2016 stattgefundenen Chats, sorgte zuletzt die Meldung, Kurz hätte, damals noch als Außenminister, über Schmid die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung verhindert, für breiten Unmut. Aus Sicht der Opposition habe Kurz, der damals bereits die Ablöse von Parteichef Mitterlehner betrieben und die Arbeit der Regierung mit dem Ziel von Neuwahlen boykottiert haben soll, durch sein Handeln die ursprünglichen Pläne zu Ganztagsschulen bewusst vereitelt.
SPÖ Frauen erzürnt
Für den Frauenring, die Dachorganisation österreichischer Frauenvereine, ist dies ein besonders schwerer Affront gegen Frauen: „Seit 2017 hätten viele Frauen ihre Chance auf eine Berufstätigkeit nutzen können! Die Investition in den Rechtsanspruch hätte für Frauen und den Staat einen Mehrwert gebracht! Es sind verlorene Jahre der Chancen für Frauen, es sind verlorene Jahre für Gleichstellung, die vielen Frauen eine soziale Absicherung gebracht hätte“, heißt es in der Aussendung zur gestarteten Petition, durch die die Regierungsspitze zum Zugeständnis von 1,2 Milliarden Euro für Zwecke der Kinderbetreuung aufgefordert werden soll. „Wir sind empört und verärgert darüber, dass persönliche Eitelkeiten wichtiger waren, als die Vereinbarkeit von Beruf & Familie und vor allem die Chancen, die viele Frauen gehabt hätten!“, zeigt man sich seitens der SPÖ Frauen Oberösterreich empört. Gefordert wird die Umsetzung des „längst fälligen“ Rechtsanspruchs auf ganztägige Kinderbetreuung „Dafür muss massiv investiert werden und zwar jetzt! Die Kinderbetreuungsmilliarde muss es endlich geben. (…)“, so SPÖ-Frauenvorsitzende Eva-Maria Holzleitner.
KFÖ: Kindeswohl entscheidend
Demgegenüber beurteilt man aktuell die Einführung eines Rechtsanspruchs seitens des katholischen Familienverbandes (KFÖ) ambivalent. „Ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung hört sich gut an“, so Barbara Fruhwürth, Sprecherin für Beruf, Familie und Vereinbarkeit im KFÖ in einer Aussendung. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen sei das aber „nicht mehr als ein leeres Versprechen“. Ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung mache für die Expertin nur dann Sinn, wenn auch die Rahmenbedingungen in Bezug auf Gruppengröße, Betreuungsschlüssel und zumutbare Entfernung verbindlich geregelt sind. Eine gute Richtschnur dafür liefere der Katholische Familienverband mit der von Experten erstellten „Kinderbetreuungsampel“, die Faktoren wie Betreuungsschlüssel, Gruppengröße oder Eingewöhnungszeit mit dem Fokus auf das Kindeswohl thematisiere: „Es geht nicht nur um frauen- und arbeitsmarktpolitische Interessen. Wir müssen in der Diskussion die Kinder in den Mittelpunkt stellen!“, fordert Fruhwürth.
Raab: Auch ohne Rechtsanspruch wurde Tagesbetreuung finanziell hoch dotiert
Unterdessen stellte Familienministerin Susanne Raab (ÖVP) in einer Aussendung klar, dass seit 2017 1,6 Mrd. Euro für die Tagesbetreuung bereitgestellt worden seien. „Von einem Verhindern kann also absolut keine Rede sein.“, so die Bundesministerin. Tatsächlich hätte es 2016 umfassende Diskussionen zwischen ÖVP und SPÖ wegen grundsätzlich unterschiedlicher Zugänge zum Schulsystem und was die Rolle der Länder betreffe gegeben: „Während die SPÖ die verpflichtende Ganztagsschule umsetzen wollte, war und ist für die ÖVP die Wahlfreiheit wichtig.“ Außerdem hätten manche Länder einen Teilanspruch auf die Mittel erhoben, da der Bereich Schule auch in die Kompetenz der Länder falle. Für sie als Familienministerin sei jedenfalls entscheidend, dass tatsächlich Geld in den Ausbau der Tagesbetreuung geflossen sei. (KL)