Familie und Demokratie
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AT / Familie: Familie und Demokratie brauchen „hörende Herzen“

IEF, 07.03.2024 – Worin liegt das Potenzial der Familie für unsere Zukunft als demokratische Gesellschaft?

Im Rahmen der 50. Sitzung der Familienkommission am 29. Februar betonte der in der Österreichischen Bischofskonferenz für Ehe, Familie und Lebensschutz zuständige “Familienbischof” Hermann Glettler, dass die Institution Familie „einen immensen Beitrag zum Funktionieren der pluralen Gesellschaft“ leiste. Denn in der Familie lerne man “demokratiefähig” zu sein. Doch was ist “Demokratiefähigkeit”? Und worin liegt das Potenzial der Familie als “Hauskirche” für unsere Zukunft als demokratische Gesellschaft?

Laut der Volkswirtin und Philosophin Sabrina Montanari, Redakteurin am Institut für Ehe und Familie, finden sich im Spiegel-Bestseller „Demokratie braucht Religion“ des renommierten Soziologen Hartmut Rosa Ansatzpunkte, um diese Fragen zu beantworten.

Warum man „Demokratiefähigkeit“ vor dem Fernseher lernen kann

Wer mit Geschwistern aufgewachsen ist (oder wer selbst Kinder hat) kennt vermutlich die folgende Situation: Man hat gemeinsam zu Abend gegessen und will den Tag vor dem Fernseher gemütlich ausklingen lassen. Doch schon bahnt sich ein Streit an. Denn der eine will das AS Rom – FC Bayern Fußballspiel anschauen, die andere die letzte Folge der neuen The Chosen Staffel und die Dritte zum fünften Mal denselben Zeichentrickfilm.

(Wie) kann der Abend gelingen?

Es sind genau solche, familienalltägliche Situationen, die das trainieren, was Bischof Glettler, unsere „Demokratiefähigkeit“ bezeichnet. Dazu zählt er unser „Interesse und die Freude am Anderssein des Anderen“ sowie eine gewisse Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit und Kompromissbereitschaft. Anders gesagt: Eine offene Haltung gegenüber dem Andersdenkenden sowie die Fähigkeit eine mögliche Auseinandersetzung durch Dialog konstruktiv zu bewältigen.

Zurück ins Wohnzimmer: Lässt man sich darauf ein, die The Chosen Folge und den Zeichentrickfilm auf das nächste Wochenende zu verschieben, um dem Fußballspiel Vorrang zu geben, macht man vielleicht doch die Erfahrung, dass gemeinsames Fußballschauen spannend sein kann. Oder, selbst wenn „Fußball langweilig bleibt“, teilt man eine Erfahrung, die miteinander ins Gespräch kommen lässt und vielleicht zu einem gemeinsamen Filmvorschlag für den übernächsten Samstagabend führt.

„Dialogpartner“ werden zu „ekelerregenden Feinden“

Doch was zu Hause gelingen mag, gestaltet sich in unserer „modernen Gesellschaft“ oft schwieriger, so Rosas Beobachtung in „Demokratie braucht Religion“.

Wie der Soziologe erklärt: „Das Beunruhigende im Hinblick auf Demokratien ist, dass die politische Kultur sich wandelt. Der politisch Andersdenkende wird nicht mehr einfach nur als Dialogpartner mit dem man sich auseinandersetzen muss, gesehen, sondern als ekelerregender Feind, den man zum Schweigen bringen muss.“ Wie oft stempelt man die andere Seite als FaschistenKommunisten oder als ideologisch-Verblendete ab, um letzten Endes nicht zuhören zu müssen.

Mensch und demokratische Gesellschaft im „Aggressionsmodus“

Laut Rosa resultiere diese Haltung, die er als „Agressionsmodus gegenüber der Welt“ benennt, aus einem „permanenten Steigerungszwang“, dem wir als Individuen und als Gesellschaft ausgesetzt sind.

Während das Steigerungsprogramm der Moderne (immer besser, immer schneller, immer effizienter) durchaus in Vergangenheit Fortschritt und Wohlstand hervorgebracht habe, hätten wir heutzutage nicht mehr das Gefühl, wir gingen auf eine „verheißungsvolle Zukunft“ zu. Im Gegenteil: Wir müssten immer schneller sein, um von einem Abgrund wegzulaufen, der uns von hinten einholt. Im persönlichen Leben äußere sich dieses Aggressionsverhältnis zur Welt unter anderem in Form von explodierenden To-do-Listen, die es abzuarbeiten gelte.

„Demokratie ist das zentrale Glaubensbekenntnis unserer Gesellschaft, aber sie erfordert eben Stimmen, Ohren und hörende Herzen“

Dort wo Andersdenkende Feinde sind, die „das Maul halten sollen“, könne kein Dialog entstehen und damit weder Gemeinschaft noch Demokratie gelingen. Eine erste Voraussetzung für Demokratie sei also die, unterschiedliche Stimmen überhaupt hörbar zu machen. Eine zweite, den Willen zu haben, sich von dem Andersdenkenden erreichen zu lassen. Kurz: Demokratie brauche „hörende Herzen“, welche empfangen und antworten wollen.

Familie als Resonanz-Raum

Demokratiekrise, Burnout-Epidemie und sogar Glaubenskrise hätten laut Rosa eines gemeinsam: Sie beruhen auf einer allgemeinen „Krise der Anrufbarkeit“. Es fehle uns zunehmend an der Fähigkeit vom anderen erreicht, berührt und dadurch selbstwirksam verwandelt zu werden. Durch „wechselseitiges Erreichen“ passiere „wechselseitige Transformation“. Und durch „wechselseitige Transformation“ werde Neues in die Welt gesetzt. Die These in „Demokratie braucht Religion“ lautet: Religion stellt Räume bereit, die uns aus dem „Aggressionsmodus“ ziehen und den Sinn dafür öffnen, was es bedeutet, mit der Umwelt und mit dem anderen in Resonanz zu stehen: Wenn wir ein Kreuzzeichen machen, die Fingerspitze ins Weihwasser tauchen, in der Heiligen Messe mitsingen und natürlich, wenn wir beten, stellen wir eine Verbindung zur Welt und “zu einer anderen Welt”,  zu „einem anderen“ her. „Etwas berührt mich und löst in mir eine transformatorische Wirkung aus, das ist die Vorstellung, die da geteilt und erfahrbar wird.“

Die moderne Gesellschaft brauche also die Rückbesinnung auf die menschliche Fähigkeit der „Anrufbarkeit“ und die „Erfahrung der entsprechenden ergebnisoffenen Selbstwirksamkeit“.

Und genau hierin liegt das Potenzial der Familie als „Hauskirche“ für unsere Zukunft als demokratische Gesellschaft. In der Familie wird eine Haltung des Hören- und Antworten-Wollens, weg von der Steigerungslogik des „Was will ich noch erreichen? Was kann ich kontrollieren?“ hin zu einer Haltung des Liebens („des unentgeltlichen Schenkens“, wie Papst Johannes Paul II in Familiaris Consortio schreibt)  erlernt und mit anderen geteilt. Im Wohnzimmer lerne ich dem anderen zuzuhören und mich von ihm „affizieren“ zu lassen. Diese Erfahrung, mich auf etwas Unerwartetes, gewissermaßen Unberechenbares einzulassen und darauf reagieren zu können, verändert mich und verändert uns als Familie. (SM)

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