Kindeswohlgefährdung
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AT / Beratung: „Wenn das Kind von zuhause weg muss…“ – Kindeswohlgefährdung, Kinderschutz und Betreuung in Wohngemeinschaften bzw. bei Pflegeeltern

IEF, 12.04.2022 – Ein emotionsbehaftetes Thema machte den Auftakt des IEF-Berater-Jour fixe, der familienrechtlichen Fortbildungsreihe des Instituts für Ehe und Familie, am 04.04.2022 und fand breiten Anklang bei den über 50 Teilnehmern aus ganz Österreich.

Dreh- und Angelpunkt im Kinderschutz – die Kinder- und Jugendhilfe und das Pflegschaftsgericht

 Welche zentralen Aufgaben kommen dem Kinder- und Jugendhilfeträger in pflegschaftsgerichtlichen Verfahren zu und welche Instrumente hat dieser? Wie kann Kinderschutz gewährleistet werden und wie sieht es mit den Melde- und Anzeigepflichten aus? Nach welchen Kriterien erfolgt eine Gefährdungsfeststellung und wann kommt es zur Aufnahme im Krisenzentrum oder bei Krisenpflegeltern? Welche Rechtsmittel stehen zur Verfügung und wie gelingt die Rückführung in die Familie? Mag. Josef Hiebl, Jurist und stv. Leiter der Kinder- und Jugendhilfe Wien, ging auf sämtliche Fragen der Teilnehmer ausführlich ein und beleuchtete den vielschichtigen Tätigkeitsbereich der Kinder- und Jugendhilfe umfassend.

Obsorge – Anträge zur Wahrung des Kindeswohles

Gemäß § 211 ABGB hat der Jugendwohlfahrtsträger (eine bei der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde oder beim zuständigen Magistrat eingerichtete Institution, die die Unterstützung der von Gewalt betroffenen Kindern oder Jugendlichen sichert) die zur Wahrung des Wohles eines Minderjährigen erforderlichen Verfügungen im Bereich der Obsorge zu beantragen. Bei Gefahr im Verzug, kann er die erforderlichen Maßnahmen der Pflege und Erziehung vorläufig selbst treffen, bis eine gerichtliche Entscheidung vorliegt. In diesem Fall hat der Jugendwohlfahrtsträger seine Maßnahmen unverzüglich, jedenfalls binnen acht Tagen bei Gericht zu beantragen. Somit ist er im Umfang der getroffenen Maßnahmen vorläufig mit der Obsorge des Minderjährigen betraut. In diesem Sinne kann der Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter auch eine einstweilige Verfügung beantragen, wenn der gesetzliche Vertreter einen erforderlichen Antrag nicht selbst unverzüglich gestellt hat.

Rasche Überprüfung der getroffenen Maßnahmen

 Das Gericht hat gemäß § 107a AußStrG auf Antrag des Kindes oder der Person, in deren Obsorge eingegriffen wurde, unverzüglich, tunlichst binnen vier Wochen, auszusprechen, ob die Maßnahme des Kinder- und Jugendhilfeträgers unzulässig oder vorläufig unzulässig ist. Dieser Antrag muss binnen vier Wochen nach Beginn der Maßnahme gestellt werden. Erklärt das Gericht die Maßnahme für unzulässig, so kommt dieser Entscheidung vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit zu, sofern das Gericht diese nicht ausschließt. Die Rechtsmittelfrist für den Rekurs, mit dem die Unzulässigerklärung der Maßnahme angefochten werden kann, beträgt drei Tage. Gegen die vorläufige Zulässigerklärung ist kein Rechtsmittel zulässig.

Erziehungshilfen durch den Kinder- und Jugendhilfeträger

Die Kinder- und Jugendhilfe leistet bei Bedarf und entsprechender Abklärung der jeweiligen Familiensituation auch Erziehungshilfe, indem sie bei der Erziehung der Minderjährigen zuhause unterstützt oder auch die „volle Erziehung“ (Pflege, Erziehung und gesetzliche Vertretung) durch eigene Einrichtungen bzw. seine Partner (Pflegeeltern, private Träger) übernimmt. Im Fall der „vollen Erziehung“ durch die Kinder- und Jugendhilfe kommt den Eltern jedenfalls das Recht auf Information, Äußerung bzw. Beteiligung sowie Kontakt zu.

Wertvoller Buchtipp – passend zum Thema

„Rechtshandbuch Kinder- und Jugendschutz – Aufsichts- und Dokumentationspflichten rechtssicher erfüllen!“  Das Handbuch ist neu im WEKA-Verlag erschienen. In diesem Fachbuch finden sich sämtliche rechtlichen Pflichten übersichtlich dargestellt und konkrete Fallbeispiele (z.B. zu Obsorgepflichten, Substanzkonsum und dem Umgang mit Neuen Medien), die Orientierung bieten, um gegensätzliche Interessen rechtlich fundiert abzuwägen (z.B. Abwägen Ihrer Schweigepflicht versus Inkaufnahme einer möglichen Kindeswohlgefährdung versus der Gefahr des Beziehungsabbruchs zu den Minderjährigen). Zahlreiche Vorlagen, Muster und Checklisten zur Absicherung sowie zur Festlegung und Mitteilung von Verhaltensmaßnahmen und präventiven Schritten zu Mobbing und Gewalt helfen bei der sorgfältigen Dokumentation und Interessensabwägung.

Ausblick – nächstes IEF-Berater-Jour fixe zum Themenfeld Migration

 Am 16. Juni wird Mag. Georg Atzwanger von der Caritas Wien das Thema „Rechte von Migrantinnen und Migranten in Österreich“ erörtern. Beratungskräfte und interessierte Personen können sich gerne jetzt schon auf der Website des IEF anmelden. (DP)

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