AT / Beratung: „Getrennte Wege nach Ehescheidung“ – Wie wird das gemeinsame Vermögen aufgeteilt? Teil 2
IEF, 13.06.2023 – Der breite Ermessensspielraum des Gerichts bei der Vermögensaufteilung wurde beim IEF-Berater-Jour Fixe am 05.06.2023 betont
Teilen – in guten wie in schlechten Zeiten? Wenn die Ehe in die Brüche geht und das gemeinsame Vermögen auf dem Spiel steht, hört sich meist die Freundschaft auf. Die Emotionen nehmen überhand und die Sorgen um die eigene Existenz wachsen. Eine gütliche bzw. einvernehmliche Regelung ist in dieser Situation oftmals nur erschwert möglich und der Streit um die gemeinsamen Ersparnisse, Lebensversicherung oder Pensionsvorsorge landet bei Gericht. Was ist in der Praxis tatsächlich entscheidungsrelevant und wie läuft ein Verfahren ab? Welche Möglichkeiten hat das Gericht, wenn eine Seite Teile des Vermögens zu verheimlichen versucht oder Beiseite schafft und wann ist Bewertungsstichtag? Diese und weitere Fragen zur Vermögensaufteilung nach Ehescheidung standen beim Berater-Jour Fixe am 05.06.2023 im Fokus.
Mitunter kann ein Aufteilungsverfahren vor Gericht kompliziert und langwierig werden, da es nicht einen allgemeingültigen Weg gibt. Das Gesetz bietet zwar eine grobe Richtschnur, in der Praxis ist allerdings auf die jeweiligen familiären Einzelumstände abzustellen und der Ermessensspielraum des Gerichts bedeutend.
Doris Täubel-Weinreich, langjährige Richterin am Bezirksgericht Innere Stadt Wien gab den zahlreichen Teilnehmern an diesem Fortbildungsabend Einblicke in die richterliche Praxis. Hier ein kurzer Überblick über wesentliche Inhalte:
Antrag auf Vermögensaufteilung
Die nacheheliche Vermögensaufteilung wird in Österreich in den §§ 81 ff EheG geregelt. Ist keine Einigung der Ehegatten möglich, hat das Gericht gemäß § 85 EheG über Antrag zu entscheiden, wie das gemeinsame eheliche Vermögen aufgeteilt wird. Laut § 95 EheG erlischt der Anspruch auf Aufteilung der ehelichen Ersparnisse und des ehelichen Gebrauchsvermögens, wenn er nicht binnen eines Jahres nach Rechtskraft der Scheidung durch Vertrag oder Vergleich anerkannt oder gerichtlich geltend gemacht wird. Zur Wahrung der Frist reicht es aus, wenn in dieser Zeit zumindest Verfahrenshilfe beantragt wird.
Behauptungs- und Beweislast
Die Behauptungs- und Beweisregeln sind auch im Außerstreitverfahren anzuwenden. Im Außerstreitverfahren wird, wie im Zivilprozess, über privatrechtliche Ansprüche entschieden – allerdings ist das Außerstreitverfahren weniger förmlich als das streitige Verfahren. Daher eignet es sich besser für bestimmte Angelegenheiten, die im Außerstreitgesetz ausdrücklich vorgesehen sind, z.B. Vermögensaufteilung, Kindesunterhalts- und Obsorgeverfahren, einvernehmliche Scheidungen, Adoptionen oder Verlassenschaftsverfahren und Grundbuchsangelegenheiten.
Wie wird das eheliche Vermögen festgestellt?
Die Parteien haben an der Ermittlung des rechtserheblichen Sachverhalts mitzuwirken, eine Unterlassung ist vom Gericht frei zu würdigen – der persönliche Eindruck der vernommenen Partei zählt. In Zweifelsfällen ist aber jener Partei die Beweislast aufzuerlegen, der die Beweise leichter zugänglich sind. Hat eine Partei das eheliche Gebrauchsvermögen oder einen Teil der Ersparnisse bereits verbraucht, muss diese den Nachweis erbringen, zu welchen Zwecken die Ersparnisse verwendet wurden. Das Gericht hat die maßgebenden Umstände zu ermitteln, wobei ein unverhältnismäßiger Verfahrensaufwand jedenfalls zu vermeiden ist. Eine Gegenüberstellung der Einkommen beider Eheleute während der gemeinsamen Ehe oder die Feststellung, wer wie viele Arbeitsstunden beim Bau des Hauses geleistet hat, wären unverhältnismäßig. Das Gericht muss nicht mit allen Mitteln den Wahrheitsgehalt einer Aussage überprüfen, vielmehr obliegt es der freien richterlichen Beweiswürdigung, die Nichtvorlage von Kontoauszügen entsprechend zu würdigen. Hier greift der weite Ermessenspielraum des Gerichts (Entscheidung nach billigem Ermessen). Wird aufgrund eines aktiven Verhaltens einer Partei vermutet, dass Vermögen verschwiegen bzw. verheimlicht wird, kann die andere Partei eine Manifestation durch das Gericht begehren.
Wann ist Bewertungsstichtag?
Bewertungsstichtag für das zur Zeit der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft vorhandene, der Aufteilung unterliegende Vermögen ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidung 1. Instanz. Wertsteigerungen zwischen Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft und Aufteilungsentscheidung sind zu berücksichtigen, wenn die Wertsteigerung ohne besonderes Zutun eines der Parteien erfolgte
(z.B. Liegenschaftswert, etc.).
Eheliche Ersparnisse
Wird innerhalb aufrechter Ehe ein PKW geleast, zählt die Anzahlung zu den ehelichen Ersparnissen und unterliegt demnach der Aufteilung. Auch Veranlagungen werden als eheliche Ersparnisse gewertet, selbst wenn nur ein Ehegatte erwerbstätig war. Dasselbe gilt für Lebensversicherungen, auch wenn ein Dritter Begünstigter ist.
Einzahlungen nach Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft stellen keine ehelichen Ersparnisse mehr dar, in dem Fall ist der Rückkaufswert der Lebensversicherung zum Zeitpunkt der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft ausschlaggebend.
Pensionsabfindungen unterliegen nicht der Aufteilung, solange diese den Charakter einer Versorgungsanwartschaft haben. Werden mit der Abfindung andere Vermögenswerte angeschafft, verliert das Pensionskapital den Zweck der späteren Pensionsvorsorge. Wichtig ist immer, eine Differenzierung zwischen Wertanlage und Altersvorsorge vorzunehmen, diesbezüglich ist genau zu prüfen.
Aufteilungsgrundsatz
Die Aufteilung des Vermögens im Verhältnis 1:1 entspricht bei in etwa gleichwertigen Beiträgen der Eheleute regelmäßig der Billigkeit des Gerichts, wenn nicht gewichtige Umstände im Einzelfall für die Aufteilung in einem anderen Verhältnis sprechen. Als Beitrag zur Schaffung der ehelichen Ersparnisse sind auch die Führung des gemeinsamen Haushalts, die Pflege und Erziehung gemeinsamer Kinder sowie jeder sonstige eheliche Beistand zu werten.
Nächstes Berater-Jour Fixe – Ausblick auf Oktober
Beim nächsten Berater-Jour fixe am 09.10.2023 geht es um den Streit beim Kindesunterhalt mit Mag. Peter Treichl, Vizepräsident des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien.
Sämtliche Informationen zu unseren rechtlichen Fortbildungen finden Sie auf der Website des Instituts für Ehe und Familie. Sie können sich schon jetzt für die kommende Fortbildungsveranstaltung im Oktober anmelden. (DP)