Persönliche Assistenz
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AT / Behinderung: Urteil offenbart Diskriminierung behinderter Schüler

IEF, 09.05.2023 – Ein Urteil des Wiener Handelsgerichts hat festgestellt, dass die Republik Österreich gegen das Diskriminierungsverbot verstößt, weil sie Schüler mit Behinderung benachteiligt.

Konkret geht es um eine Richtlinie des österreichischen Bildungsministeriums, die bisher vorgesehen hat, dass eine Persönliche Assistenz für den Besuch von Bundesschulen (AHS und BHS) nur Schülern mit körperlicher Behinderung und einer hohen Pflegegeldstufe (Stufe 5, in Ausnahmefällen Stufe 3) zusteht. Unter „Persönlicher Assistenz“ ist die besondere Unterstützung von Schülern mit Behinderung im Schulalltag sowohl auf dem Weg zur Bildungseinrichtung als auch während der in der Einrichtung zu verbringenden Zeit durch einen Persönlichen Assistenten zu verstehen. Zweck der „Persönlichen Assistenz“ ist es, auch Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen einen normalen Zugang zur Bildung zu ermöglichen.

Verstoß gegen Behindertengleichstellungsgesetz

Mit der bisher geltenden Richtlinie habe das Bildungsministerium allerdings mehrmals gegen das Diskriminierungsverbot nach dem Behindertengleichstellungsgesetz verstoßen, wie das Handelsgericht in Wien nun kürzlich in erster Instanz in seinem Urteil festhielt. Sowohl beeinträchtigte Schüler mit einer geringeren Pflegestufe als auch Schüler mit Autismus oder Sinnesbehinderungen würden durch die derzeit geltende Richtlinie benachteiligt. Außerdem könnten beeinträchtigte Schüler nicht diskriminierungsfrei an Freistunden und Schulveranstaltungen teilnehmen, da diese nach wie vor von der Persönlichen Assistenz ausgenommen seien. Die Persönliche Assistenz sei ein geeignetes Mittel, um eine gleichberechtigte Teilhabe an der Schulbildung zu ermöglichen. Diese vorab pauschal zu verweigern sei diskriminierend. Das Handelsgericht betonte überdies, dass es der Grundsatz des Behindertengleichstellungsgesetz sei, Menschen mit Behinderung eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gewährleisten zu können. Die Richtlinie entspreche diesen Anforderungen nicht.

Klage 2021 eingebracht

Nachdem ein Schlichtungsversuch mit dem Bildungsministerium 2021 scheiterte, reichte der Klagsverband, der sich mit den rechtlichen Aspekten von Gleichstellung und Antidiskriminierung beschäftigt, im Juli 2021 Klage gegen die Republik Österreich ein und bekam in erster Instanz nun vollinhaltlich Recht. „Das Urteil vom 31. März 2023 zeigt auf, was viele Eltern und auch wir als Assistenz- Servicestelle nicht nachvollziehen können. Es ist nicht zu erklären, warum ein sehbehindertes Kind keine Persönliche Assistenz für die Durchführung physikalischer Experimente in Anspruch nehmen kann und eine Rollstuhlfahrer:in schon. Oder warum der Unterstützungsbedarf eines Kindes mit niedriger Pflegegeldstufe nicht durch Persönliche Assistenz abgedeckt werden soll. Es braucht gleiche Zugangsmöglichkeiten für alle Kinder mit Behinderung. Dafür kann diese richterliche Entscheidung richtungweisend sein.“, meinte etwa Jasna Puskaric, geschäftsführende Vorständin der WAG Assistenzgenossenschaft, in einer Presseaussendung anlässlich des Urteils. Auch die Geschäftsführerin des Klagsverbands, Theresa Hammer, zeigte sich erfreut über das Urteil. „Der Bildungsminister muss jetzt handeln und bedarfsgerechte Unterstützung für alle Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen sicherstellen“, so Hammer.

Auf Nachfrage der APA teilte das Bildungsministerium mit, dass es auf eine Berufung verzichten und „das Urteil rasch umsetzen und die gerichtlich festgestellten Mängel beheben“ werde. „Wir wissen um den Leidensdruck der Eltern. Darum ist das auch ein wesentliches Thema für das Ressort“, so Bildungsminister Polaschek. (TS)

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