AT / Familie: Mangelnde Kenntnis der eigenen Herkunft führt häufig zu Stress in der Familiendynamik
IEF, 25.05.2021 – Aktuelle Studie belegt, dass mangelnde Kenntnisse der biologischen Herkunft negative Auswirkungen auf das Heranwachsen des anonym geborenen Kindes haben.
Vor 20 Jahren wurde in Österreich das erste Kind anonym geboren. Seither ist es in allen geburtshilflichen Abteilungen möglich, ein Kind ohne Angabe der eigenen Identität kostenfrei zur Welt zu bringen. Es besteht die Möglichkeit, dem Kind (freiwillig) ein Andenken, einen Brief oder ein Foto zu hinterlassen, welches beim Jugendamt oder in der Geburtsgeschichte des Krankenhauses aufbewahrt wird.
Recht der biologischen Mutter auf Anonymität versus Recht der Kinder auf das Wissen um ihre Herkunft
Die Möglichkeit der anonymen Geburt ist eine nicht zu unterschätzende Hilfeleistung für das grundsätzliche Überleben des Kindes und sollte daher keines Falls in Frage gestellt werden. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass das Aufziehen eines anonym geborenen Kindes für die Adoptiveltern eine einzigartige Herausforderung bedeutet. Entsprechend den Regelungen zur anonymen Geburt bzw. der Möglichkeit der Abgabe eines Kindes in Babyklappen sind häufig wenig bis keine Informationen zu den biologischen Eltern verfügbar. Welche Auswirkungen dies auf das betroffene Kind sowie dessen familiäre Beziehungen haben kann, verdeutlicht eine aktuelle Studie, welche die Situation von Adoptivmüttern und -vätern von anonym geborenen Kindern analysiert. Untersucht wurde 1. wie viele biographische Informationen der Adoptivfamilie zu den biologischen Eltern bekannt sind, 2. mögliche Differenzen zwischen Adoptivmutter und -vater betreffend ihre mentale Gesundheit, ihr Bindungsverhalten und ihre Stressresistenz sowie 3. mögliche Auslöser für Stressfaktoren.
Im Ergebnis haben Mütter ihre Ängstlichkeit höher eingeschätzt als Väter, zugleich haben sie ihre Fähigkeit zur Stressbewältigung als besser bewertet. Als Stressfaktoren, die Einfluss auf die Beziehungsqualität innerhalb einer Adoptivfamilie haben, wurden die psychische Gesundheit des Kindes, das Alter der Adoptiveltern sowie des Kindes und das Vorliegen von Informationen zur biologischen Mutter identifiziert.
Primär demographische Daten der biologischen Mutter bekannt
Bereits eine Studie aus dem Jahr 2019 hat gezeigt, dass ein Mangel an Daten zur Gesundheit der biologischen Eltern ein Risikofaktor für die Entwicklung und das Wohlbefinden des Kindes sein kann. Die nun vorliegende Studie bekräftigt dies und zeigt, dass diese Unwissenheit einen Stressfaktor für die Familie bedeutet. Adoptiveltern haben oft großes Interesse mehr über die Vergangenheit ihrer Kinder zu wissen, um diese bei der Identitätsfindung bestmöglich unterstützen zu können. Im Durchschnitt konnten von den befragten Familien jeweils nur 10 von 40 biographischen Faktoren betreffend die biologischen Eltern benannt werden. Dominant waren hier demographische Informationen. So kannten 41,9% die Herkunft der biologischen Mutter. Hinweise bezüglich des Grundes der Abgabe lagen in 50% der Fälle vor. Angaben zu genetischen Krankheiten der Mutter konnten nur 4,8% der Befragten machen. Informationen zum biologischen Vater waren noch seltener. Lediglich 11,3% kannten etwa dessen Herkunftsland.
Informationen zur biologischen Herkunft beeinflusst Stressresistenz
Im Zuge der Auswertung der Studienergebnisse konnte eine direkte Korrelation zwischen der Fähigkeit zum Stressmanagement der Adoptiveltern und der Summe an Informationen, die über die biologische Familie vorliegt, nachgewiesen werden. Mit anderen Worten: mehr Wissen hat die Stressresistenz der Eltern deutlich erhöht und sich so positiv auf die Beziehung innerhalb der Familie ausgewirkt.
Dies verdeutlicht die Relevanz, über möglichst konkrete Informationen zur eigenen biologischen Herkunft zu verfügen. Die Kinder- und Jugendpsychiaterin und Mitautorin der genannten Studie Claudia Klier führt hierzu in einer Stellungnahme wie folgt aus „Das Wissen um die biologischen Wurzeln ist ein wichtiger Faktor und eine Verbesserung der Durchführung der anonymen Geburt sollte hier ansetzen, indem den abgebenden Frauen die Wichtigkeit des Hinterlassens nicht identifizierbarer Informationen nähergebracht wird.[…]“. (MZM)